Buch XIII Abschnitt CLXIV

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Abschnitt CLXIV 

„Bhishma sagte: ‚Wenn man selbst gute Taten vollbringt oder andere dazu veranlasst, solche Taten zu vollbringen, sollte man erwarten, die Verdienste der Rechtschaffenheit zu erlangen. Genauso verhält es sich, wenn man selbst böse Taten vollbringt und andere dazu veranlasst, solche Taten zu vollbringen. Man sollte nie erwarten, die Verdienste der Rechtschaffenheit zu erlangen. 2 Zu allen Zeiten ist es die Zeit, die in das Verständnis aller Geschöpfe eindringt, sie zu rechtschaffenen oder unrechtschaffenen Taten veranlasst und ihnen dann Glück oder Unglück beschert. Wenn ein Mensch die Früchte der Gerechtigkeit erblickt und erkennt, dass Gerechtigkeit höher ist, dann neigt er sich der Gerechtigkeit zu und glaubt an sie. Wer jedoch nicht fest im Verständnis ist, glaubt nicht an sie. Was den Glauben an die Gerechtigkeit betrifft, so ist es dies (und nichts anderes). An die Gerechtigkeit zu glauben ist das Zeichen der Weisheit aller Menschen. Wer mit beidem vertraut ist ( d. h. , was getan werden sollte und was nicht), sollte im Hinblick auf die Gelegenheit mit Sorgfalt und Hingabe das Richtige erreichen. Jene rechtschaffenen Menschen, die in diesem Leben mit Wohlstand gesegnet wurden, kümmern sich aus eigenem Antrieb besonders um ihre Seelen, damit sie in ihren nächsten Leben nicht als Menschen geboren werden müssen, in denen die Eigenschaft der Leidenschaft vorherrscht. Die Zeit (die der höchste Lenker aller Dinge ist) kann Gerechtigkeit niemals zur Ursache von Elend machen. Man sollte daher wissen, dass die Seele, die rechtschaffen ist, sicherlich rein ist ( d. h . frei von den Elementen des Bösen und Elends). Was die Ungerechtigkeit betrifft, so kann man sagen, dass sie, selbst wenn sie große Ausmaße annimmt, nicht in der Lage ist,

sogar die Gerechtigkeit berührend, die immer durch die Zeit geschützt ist und wie ein loderndes Feuer leuchtet. Dies sind die beiden Ergebnisse, die durch Gerechtigkeit erreicht werden, nämlich die Makellosigkeit der Seele und die Unempfindlichkeit gegenüber der Berührung durch Ungerechtigkeit. Wahrlich, Gerechtigkeit ist voller Sieg. Ihr Glanz ist so groß, dass sie die drei Welten erleuchtet. Ein weiser Mann kann einen sündigen Menschen nicht ergreifen und ihn gewaltsam dazu bringen, rechtschaffen zu werden. Wenn die Sündigen ernsthaft dazu gedrängt werden, rechtschaffen zu handeln, handeln sie nur heuchlerisch, getrieben von Angst. Diejenigen, die unter den Sudras rechtschaffen sind, verfallen nie einer solchen Heuchelei unter dem Vorwand, dass es den Personen des Sudra-Ordens nicht gestattet sei, nach einer der vier vorgeschriebenen Arten zu leben. Ich werde dir im Einzelnen sagen, was die Pflichten der vier Orden wirklich sind. Was ihre Körper betrifft, haben die Personen, die zu allen vier Orden gehören, die fünf Urelemente als Bestandteile. In dieser Hinsicht sind sie tatsächlich alle von derselben Substanz. Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen ihnen, sowohl in Bezug auf die Praktiken im Zusammenhang mit dem Leben oder der Welt als auch in Bezug auf die Pflichten der Gerechtigkeit. Ungeachtet dieser Unterschiede bleibt ihnen genügend Handlungsfreiheit, wodurch alle Individuen gleiche Bedingungen erreichen können. Die Bereiche der Glückseligkeit, die die Folgen oder Belohnungen der Gerechtigkeit darstellen, sind nicht ewig, denn sie sind dazu bestimmt, ein Ende zu finden. Gerechtigkeit hingegen ist ewig. Wenn die Ursache ewig ist, warum ist die Wirkung es dann nicht? 1 Die Antwort hierauf ist folgende. Ewig ist nur die Gerechtigkeit, die nicht durch den Wunsch nach Frucht oder Belohnung gefördert wird. (Die Gerechtigkeit jedoch, die durch den Wunsch nach Belohnung hervorgerufen wird, ist nicht ewig. Daher ist die Belohnung, die mit der ersten Art von Gerechtigkeit verbunden ist, nämlich das Erreichen der Identität mit Brahman, obwohl unerwünscht, ewig . Die Belohnung jedoch, die mit der Gerechtigkeit verbunden ist, die durch den Wunsch nach Frucht hervorgerufen wird. Der Himmel ist nicht ewig.) 2 Alle Menschen sind in Bezug auf ihren physischen Organismus gleich. Alle besitzen wiederum Seelen, die in Bezug auf ihre Natur gleich sind. Wenn die Auflösung eintritt, löst sich alles andere auf. Was bleibt, ist der anfängliche Wille, Gerechtigkeit zu erreichen. Dieser taucht tatsächlich (im nächsten Leben) von selbst wieder auf. 3 Wenn dies das Ergebnis ist (das heißt, wenn die Freuden und das Fortbestehen dieses Lebens auf die Taten eines früheren Lebens zurückzuführen sind), kann die unter den Menschen erkennbare Ungleichheit des Schicksals in keiner Weise als anomal angesehen werden. So sieht man auch, dass diese Geschöpfe

die zu den Zwischenordnungen der Existenz gehören, sind in ihren Handlungen gleichermaßen dem Einfluss von Beispielen unterworfen.“

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 Das Mahabharata („die große Geschichte der Bharatas“) ist das bekannteste indische Epos. Man nimmt an, dass es erstmals zwischen 400 v. Chr. und 400 n. Chr. niedergeschrieben wurde, aber auf älteren Traditionen beruht. Es umfasst etwa 100.000 Doppelverse.


Große indische Dichter, wie z. B. Kalidasa, haben immer wieder auf das Mahabharata sowie auf das Ramayana, das zweite große Volksepos Indiens, zurückgegriffen. Die Epen bilden zusammen mit den Puranas und anderen Werken als Bestandteile der Smritis den Kern der hinduistischen Überlieferung. Den bedeutendsten philosophischen Text des Mahabharata, die Bhagavadgita, zählt man oft zu den Shrutis, den Offenbarungsschriften. Zusammen mit dem tibetischen Epos des Königs Gesar gehört das Mahabharata zu den umfangreichsten literarischen Werken der Welt.


Das Werk ist eines der wichtigsten Dharma-Bücher und darum für Hindus ein wichtiger Leitfaden. Es schneidet alle Aspekte hinduistischer Ethik an, weist einerseits orthodoxe Äußerungen auf, etwa über die Aufgaben der Kasten und Frauenpflichten, dann wiederum erhebt es an vielen Stellen heftigen Protest dagegen.


Mit seiner großen Anzahl an Geschichten und Motiven sowie seinen unzähligen religiösen und philosophischen Parabeln wird die Bedeutung des Epos am besten mit dem Satz aus dem ersten Buch zusammengefasst: „Was hier gefunden wird, kann woanders auch gefunden werden. Was hier nicht gefunden werden kann, kann nirgends gefunden werden.“


Das Mahabharata ist sowohl Heldenepos als auch ein bedeutendes religiöses und philosophisches Werk, dessen Ursprung möglicherweise in vedischer Zeit liegt. Traditionell wird der mythische Weise Vyasa als Autor angenommen, der in der Geschichte selbst eine Rolle spielt. Der Legende nach soll er es komponiert und dem elefantenköpfigen Gott Ganesha diktiert haben. Im Laufe der Jahrhunderte kam es immer wieder zu Veränderungen und Weiterentwicklungen des Werks, denn vieles wurde lange Zeit nur mündlich überliefert. Es besteht aus vielen Schichten, die sich im Laufe der Zeit anlagerten.


Das Mahabharata ist in achtzehn Kapitel und einen Appendix unterteilt und enthält neben der Hauptgeschichte hunderte von Nebengeschichten und kleinere Episoden. Grundsätzlich beschäftigt sich das umfangreiche Epos mit allen Themen, die im Hinduismus wichtig sind: mit dem Leben der Geschöpfe, mit Tod und Wiedergeburt, mit Karma und Dharma (Rechtschaffenheit), beschreibt Glück und Leid, die Ergebnisse der guten und der schlechten Taten, das Opfer, sowie die verschiedenen Zeitalter, es beschäftigt sich mit den Göttern und überliefert uralte Hymnen.


Die Handlung beschreibt den Kampf der Kauravas mit den Pandavas, zweier verwandter Königsfamilien, auf dem Schlachtfeld in Kurukshetra (nördlich von Delhi). Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich im Kern um ein historisches Geschehen handelt, für viele Inder sind die Begebenheiten Tatsache. Der Kampf wird als schrecklicher Bruderkrieg dargestellt, bei dem viele Menschen starben. Er bildet auch den dramaturgischen Hintergrund der Bhagavad-Gita (Gesang des Erhabenen).


Ein Fürst aus dem alt-indischen Herrschergeschlecht der Bharatas hatte drei Söhne: Dhritarashtra, Pandu und Vidura. Der älteste, der blinde Dhritarashtra, konnte wegen seiner Blindheit den Thron nicht besteigen. Trotzdem übertrug der regierende Pandu nach einiger Zeit den Thron seinem blinden Bruder und zog sich mit seinen beiden Frauen Kunti und Madri in die Wälder zurück. Dort wurden ihm, bevor er starb, fünf Söhne geboren, die allesamt von Göttern gezeugten Pandavas (Söhne von Pandu): Yudhishthira, Bhima, Arjuna, sowie die Zwillinge Nakula und Sahadava. Der regierende blinde König Dhritarashtra hatte einhundert Söhne, die Kauravas (benannt nach dem Urahn Kuru) von denen der älteste, Duryodhana, zum Hauptgegenspieler der Pandavas wurde.


Der Haupterzählstrang des Mahabharata beschäftigt sich mit dem Konflikt zwischen diesen beiden verwandten Familien und ihren Verbündeten. Die Söhne Pandus und Dhritarashtras werden zusammen am Hofe in Hastinapur erzogen. Ihre Lehrer sind Kripa und Drona. Schon bald zeigt sich, dass die Söhne Pandus ihren Vettern an Kraft, Geschicklichkeit und Geisteshaltung überlegen sind. Die Kauravas unter Führung von Duryodhana versuchen mehrmals ihre Vettern – die Pandava-Brüder – zu schädigen, um ihre eigenen Ansprüche durchzusetzen. Aber die Pandavas können entkommen und streifen einige Jahre zusammen mit ihrer Mutter Kunti als Asketen verkleidet umher. Am Ende dieser Zeit gewinnt Arjuna die Hand der Prinzessin Draupadi auf ihrer Gattenwahl. Doch aufgrund ihres vorbestimmten Schicksals und durch ein Missverständnis von Kunti wird sie zur Ehefrau aller fünf Pandavas. Denn als die fünf Brüder zu ihrer Mutter Kunti nach Hause kommen, meint diese, ohne aufzuschauen und ohne die neue Schwiegertochter bemerkt zu haben, sie sollten untereinander alles teilen, was sie mitgebracht hätten. Da einem Befehl der Mutter nicht widersprochen werden darf, heiratet Draupadi alle fünf Söhne, obwohl dies nicht Sitte ist und trotz der Bedenken des regierenden Königs Dhritarashtra.


Im weiteren Verlauf der Geschichte besitzen die Pandavas und die Kauravas je ein Königreich, damit der Frieden gesichert werden kann. Aber die Kauravas organisieren ein Würfelspiel, in dem die Pandavas ihr gesamtes Königreich verlieren. Schließlich müssen die Pandavas zwölf Jahre lang im Exil leben und sich dann im dreizehnten Jahr unerkannt in der Gesellschaft aufhalten. In dieser Zeit erleben die Pandavas zahlreiche Abenteuer. Sie erhalten viele Waffen von den Göttern und verbringen ihr letztes Jahr am Hof des Königs Virata. Doch selbst nach diesen dreizehn Jahren verweigern die Kauravas unter der Führung von Duryodhana die Rechte der Pandavas, wobei sich auch der regierende blinde König Dhritarashtra mit seinem Beraterstab auf die Seite seiner Söhne stellt.


So kommt es zum großen Krieg, bei dem elf Stämme auf der Seite der Kauravas gegen sieben auf der Seite der Pandavas kämpfen. Auch der mit beiden Familien verwandte König Krishna, von dem es heißt, dass er ein Avatar des Gottes Vishnu sei, beteiligt sich als Wagenlenker des Pandava Arjuna an der Auseinandersetzung. Vor Beginn der großen Schlacht vermittelt Krishna ihm die Lehren der Bhagavad-Gita. Die Bhagavad Gita ist eine alte hinduistische Schrift, die aus 700 Versen besteht. Sie ist ein wichtiger Teil des indischen Epos Mahabharata und ein grundlegender Text der indischen Philosophie und Spiritualität. Sie ist in Form eines Dialogs zwischen dem Prinzen Arjuna und der Gottheit Krishna verfasst und behandelt grundlegende philosophische und ethische Themen, darunter das Konzept der Pflicht (dharma), die Wege zur spirituellen Verwirklichung (moksha) und die Natur des Selbst (atman). Dieses zentrale Werk hat das hinduistische Denken entscheidend geprägt und nicht nur die religiöse Praxis, sondern auch die breiteren kulturellen und ethischen Diskurse beeinflusst. Schließlich, nach unsäglichem Leid auf beiden Seiten, gewinnen die Pandavas die Schlacht. Alle Söhne des blinden Königs Dhritarashtra sind tot.


Nach einigen Jahren gehen die Pandava-Brüder mit ihrer Frau Draupadi auf eine Pilgerreise in den Himalaya. Bis auf Yudhishthira sterben unterwegs nacheinander alle. Ihm schließt sich ein Hund an, der ihm bis zum Himmelstor folgt. Nun wird der Pandava geprüft und er muss seine Lieben unter Qualen in der Hölle finden. Doch als sich herausstellt, dass Yudhishthira eher bei seiner Frau, seinen Brüdern und dem Hund bleiben will, als ohne diese die himmlische Herrlichkeit zu genießen, fällt sein menschlicher Körper endgültig von ihm ab und er erkennt, dass alles ein Trugbild zu seiner Prüfung war.


Wie in allen hinduistischen Epen sind auch im Mahabharata Gut und Böse nicht polarisiert: Die „Bösen“ zeigen immer auch gute, liebenswerte Eigenschaften, wogegen die „Guten“ auch Schwächen haben und notfalls zu List und Lüge greifen: So gilt etwa Yudhishthira, der Älteste der fünf Pandava-Brüder, als Verkörperung von Dharma, der Rechtschaffenheit. Im verzweifelten Kampf in Kurukshetra spricht er trotzdem eine bewusste Lüge, damit der unbesiegbare Drona seine Waffen endlich niederlegt und geschlagen werden kann. Daraufhin senkt sich sein Kampfwagen, welcher bis dahin immer darüber geschwebt ist, auf die Erde hinab. Diese Lüge trägt schließlich auch dazu bei, dass die große Schlacht, weit jenseits jeglicher Kriegerehre, in einem Blutbad endet.


Das Mahabharata ist in achtzehn Parvas (Bücher) unterteilt:


1. Adiparva – Einführung, Geburt und frühe Jahre der Prinzen

2. Sabhaparva – Leben im Königshof, das Würfelspiel, und das Exil der Pandavas.

3. Aranyakaparva (auch Vanaparva, Aranyaparva) – Die 12 Jahre im Exil.

4. Virataparva – Das letzte Jahr im Exil

5. Udyogaparva – Vorbereitungen für den Krieg

6. Bhishmaparva – Der erste Teil des großen Kriegs, mit Bhisma als Kommandant der Kauravas.

7. Dronaparva – Der Krieg geht weiter, mit Drona als Kommandant.

8. Karnaparva – Wieder der Krieg, mit Karna als Kommandant.

9. Salyaparva – Der letzte Teil der Schlacht, mit Salya als Kommandant.

10. Sauptikaparva – Ashvattama und die letzten Kauravas töten die Pandava Armee im Schlaf.

11. Striparva – Gandhari und andere Frauen trauern um die Toten.

12. Shantiparva – Die Krönung von Yudhishthira, und seine Instruktionen von Bhishma

13. Anushasanaparva – Die letzten Instruktionen von Bhisma.

14. Ashvamedhikaparva – Die königliche Zeremonie oder Ashvameda, ausgeführt von Yudhisthira.

15. Ashramavasikaparva – Dhritarashtra, Gandhari, Kunti gehen in ein Ashram, und sterben später

16. Mausalaparva – Der Kampf unter den Yadavas.

17. Mahaprasthanikaparva – Der erste Teil des Pfads zum Tod der Pandavas

18. Svargarohanaparva – Die Pandavas erreichen die spirituelle Welt.


Die Bhagavad Gita – Die Lehren von Krishna an Arjuna - im Bhishmaparva.


Die Geschichte von Nala und Damayanti – eine Liebesgeschichte - im Aranyakaparva.


Die Geschichte von Savitri und Satyavan – eine Geschichte todesmutiger ehelicher Treue - im Aranyakaparva


Rama – eine Zusammenfassung des Ramayana - im Aranyakaparva.


Die Vishnu sahasranama – berühmte Hymne an Vishnu - im Anushasanaparva.


Die Anugita – ein weiterer Dialog von Krishna mit Arjuna.


Das Quirlen des Milchozeans – Erscheinen der Göttin Lakshmi aus dem Urmeer und Vishnus Avatar als Schildkröte (Kurma) - im Adiparva



Übersetzt aus dem Englischen von Torsten Schwanke.